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15. Juni 2021 - Vechta

Erst Pfützenhüpfer, dann Klippensteiger

Lehrkräfte entwickeln praxisnahe Unterrichtsmaterialien im Fachbereich Sozialpädagogik

Mit den „Pfützenhüpfern“ hatte es im März 2020 angefangen. Das Kartenset zeigt eine fiktive Kindergartengruppe und stellt dabei die Kinder mit ihrem familiären Hintergrund, ihrem Sprach-, Spiel- und Sozialverhalten vor. In einer Auflage von 800 Stück hatte der Hamburger Verlag Handwerk und Technik das Material erstellt. Schnell waren alle Exemplare verkauft, bundesweit sind sie seitdem an Berufsschulen im Bereich der Erzieherausbildung im Einsatz. Entwickelt hatten das Unterrichtsmaterial Anja Böckmann, Yvonne Grüner und Simon Kalkhoff, Lehrkräfte im Fachbereich Sozialpädagogik an den Vechtaer Berufsbildenden Schulen (BBS) Marienhain.

 

Die drei Autoren der KlippensteigerGroßansicht öffnen

v.l. Simon Kalkhoff, Anja Böckmann und Yvonne Grüner präsentieren die „Klippensteiger“

„Dieses Set wird viel eingesetzt, wir bekommen immer wieder Rückmeldungen, dass es Spaß macht, damit zu arbeiten,“ sagt Böckmann. Fast alle ihre Kolleginnen und Kollegen in ihrem Fachbereich arbeiten damit. Der Erfolg motivierte das Autorenteam zu einer aktualisierten Auflage und sogar zu einem weiteren Projekt. Diesmal in einer Auflage von 1.600 Stück und mit Fallbespielen aus der Kinder- und Jugendhilfe. Sein Titel ist Programm: „Klippensteiger“ „Viele Schülerinnen und Schüler haben Vorbehalte, dort Praktika zu machen“, begründet Simon Kalkhoff den neuen Schwerpunkt.  

Ein Jahr dauerte die Vorbereitung. „Wir sind in der glücklichen Lage, nicht nur über praktische Erfahrungen im Kita-Bereich zu verfügen, sondern auch Expertisen im Bereich der Wohngruppe zu besitzen. Wir konnten also erneut auf das zurückgreifen, was wir erlebt hatten, was Schülerinnen und Schüler im Unterricht berichteten oder Kollegen erzählten“, sagt Yvonne Grüner. Wie Böckmann und Kalkhoff hat sie einige Jahre im Bereich der Jugendhilfe gearbeitet.

Die „Klippensteiger“ beschreiben Biografien, wie sie in der Realität vorkommen. Acht Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 16 Jahren leben hier. Alle tragen ihr eigenes Päckchen, aber sie eint, dass sie alle wegen massiver Erziehungsschwierigkeiten hier sind. Einer aus der Gruppe ist der 14-jährige Florian, ein sehr introvertierter Junge. Auf den ersten Blick wirkt er unsympathisch. Häufige emotionale Ausbrüche lassen manchmal fast vergessen, dass er auch Bedürfnisse hat. Florian ist Schulverweigerer mit hoher Medienaffinität. Zu seinen Eltern, die Wert legen auf ein heiles Familienbild, hat er ein problematisches Verhältnis. Sie wollen nur, dass der Junge „funktioniert“. Seit drei Jahren lebt er in der Wohngruppe. Eines Abends schildert er suizidale Gedanken.

Julia ist die Jüngste der Gruppe. Die Fünfjährige hat eine schwere soziale Entwicklung mitgemacht. Ihre Mutter, die schon mit 15 Jahren mit ihr schwanger wurde, hat ein distanziertes Verhältnis zu ihr. Julia ist daher sehr kontrolliert, sie kennt keine Umarmungen oder Emotionen. Die sozialpädagogische Familienhilfe hatte versucht, eine Fremdunterbringung zu verhindern. Aber seit vier Wochen ist Julia jetzt hier. Solche Wohngruppen sind für viele Kinder und Jugendliche Realität. Allein in Niedersachsen betrifft es ca. 13.000 von ihnen.

Wie können wir mit solchen Kindern arbeiten, wie gehen wir mit ihren Problemen und ihrem Umfeld um, fragen die Autoren der „Klippensteiger“. „Ideallösungen gibt es nicht“, haben sie es immer wieder erlebt. Mit dem Kartenset und seinen Begleitmaterialien wollen sie daher zu Diskussionen anregen. „Unser Ziel ist es, eine beispielhafte Wohngruppe zu zeigen. Dazu gehören Höhen und Tiefen, Schimpfwörter und Degradierungen, aber auch Liebe, Zuversicht und Hoffnung.“ Beschrieben werden auch Mitarbeiter der Wohngruppe, die Familien der Kinder, das lokale Umfeld, die Nachbarn und rechtliche Fragen.

Das Material, sind sich Grüner, Kalkhoff und Böckmann sicher, eignet sich nicht nur zur Ausbildung für Sozialassistenten/innen und Erzieher/innen, sondern kann auch in der Universität in den Bereichen Pädagogik oder Sozialpädagogik genutzt werden. Und wäre Corona nicht gewesen, hätten die drei ihr neues Werk auf der letzten Bildungsmesse Didacta einem interessierten Fachpublikum vorgestellt.

Ludger Heuer