Ihre Zuhörer merkten schnell, dass die lebenslustige Frau von einer anderen Welt erzählte. Ihr Vater wurde vor ihrer Geburt im Drogenkrieg getötet. Sie selbst ist in bitterer Armut aufgewachsen. Zu ihrem Glück gibt es in der Favela Acari, Suannys Heimat, einen kirchlichen Kindergarten der Pastoral do Menor. "Es war gut, dass wir hier aufgehoben waren. So liefen wir nicht Gefahr, da draußen auf Abwege zu geraten“, sagt Suanny. Ihre Freundinnen wurden früh schwanger, andere Freunde starben im Drogenkrieg. Suanny wollte jedoch studieren. Mit eisernem Willen schaffte sie das Unmögliche. „Als einzige aus meinen Umfeld“, sagte sie nicht ohne Stolz. Nebenher arbeitet sie bei einem Kinderschutzbund. Das Geld muss ihre Mutter und ihren Bruder mit ernähren.
Schulen wie in Deutschland, Bildungschancen, Sozialsysteme, Krankenversorgung – undenkbar in Brasilien. Vor allem schwarze Jugendliche wie sie, deren Vorfahren als Sklaven aus Afrika hergeschleppt wurden, erleben diese Benachteiligung. Selbst an den berühmten Strand von Rio können sie nicht. Zum einen fehlt ihnen das Geld, zum anderen werden sie oft wieder von der Polizei weggeschickt. Der 15 Kilometer lange Strand soll sauber bleiben – für die Touristen. Allein der tägliche Schulweg sei ein Kampf ums Überleben, erzählt Suanny. Jederzeit könne man in einen Kugelhagel kommen, täglich gebe es Schießereien zwischen Polizei und Drogenbanden. Täglich sterben so alle in Rio ca. dreißig Kinder und Jugendliche – meist schwarze.
Diese Gewalt kann Regina Leão bestätigen. Seit 28 Jahren arbeitet sie in der Pastoral do Menor, einer Einrichtung des Erzbistums Rio de Janeiro. Hier erfahren gefährdete Minderjährige Zuflucht. Ob sie es schon erlebt habe, dass Jugendliche nicht mehr kommen, weil sie erschossen wurden? Das erlebe ich praktisch täglich, antwortet Regina Leão mit ernster Miene. „Wir erleben hier einen Massenmord an unserer Jugend.“ 78 Prozent der jährlich 60.000 Gewaltopfer in Brasilien sind schwarze Jugendliche und junge Erwachsene.
Laut Gesetz hätten zwar alle Anspruch auf Bildung und gewisse Formen der Versorgung. Tatsächlich aber mache der Staat wenig. Viele Verbrechen würden nie geahndet. „Von 100 Morden werden nur acht untersucht“, sagte Leão. Von dem neuen Präsidenten Bolsonaro, der einen harten Kurs gegen Arme und Obdachlose angekündigt habe, befürchte sie das schlimmste. Über 60 Prozent der brasilianischen Kinder und Jugendlichen würden in Armut leben, sagt sie. Die katholische Kirche sei die einzige Organisation, die sich um sie kümmere. In 37 Zentren betreut sie 174 Favelagemeinden im Einzugsbereich um Rio. Gefragt, wie man aus Deutschland helfen könne, meinte sie: Uns hilft es sehr schon, wenn wir das Gefühl haben, gehört zu werden und nicht allein zu sein. Ob sie neidisch sei auf das, was sie in Deutschland sehe, wollten Schülerinnnen von Suanny wissen. Nein, neidisch nicht, aber sie frage sich, warum so etwas es nicht auch in Brasilien möglich sei.
Spendenkonto: Bischöfliche Aktion Adveniat, IBAN: DE03 3606 0295 0000 0173 45, SWIFT-BIC-Code: GENODED1BBE
Ludger Heuer